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Melderegister, Datenschutz und Inkasso: Wie stark ist das informationelle Selbstbestimmungsrecht?

Das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ und das „Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrietät informationstechnischer Systeme“ sind frei erfundene Grundrechte. Sie stehen nicht in unserer Verfassung, dem Grundgesetz. Sie wurden vielmehr vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen seiner Rechtsprechung aus einzelnen Grundrechtsvorschriften herausentwickelt. Es handelt sich quasi um eine schöpferische Weiterentwicklung des Rechts, um eine Art „Rechtsevolution“.  1983 wurde im Rahmen des Volkszählungsurteils die Rechtsfigur der informationellen Selbstbestimmung geboren, ein Vierteljahrhundert später erblickte aufgrund erfolgter Online-Durchsuchungen das informationstechnische Grundrecht, das Computer- oder Integritätsgrundrecht, das Licht der Welt. In der ein oder anderen Frage, mußten diese Grundrechte nun herhalten, um der Datenerhebung die Grenzen aufzuzeigen und den Datenschutz zu stärken. So verbat das Bundesverfassungsgericht etwa die automatische Erfassung und Speicherung von Kfz-Kennzeichen auf Straßen und Plätzen ohne konkreten Anlass. Muß es jetzt in Bezug auf die geplanten Änderungen des Meldegesetze auch zu einer verfassungsrechtlichen Korrektur kommen oder ist das Zurückrudern der Regierung glaubwürdig und dauerhaft? Glücklicherweise kann hier jeder betroffene Bürger sich gegen die Verletzung seiner Daten und seiner Selbstbestimmung rechtlich wehren. Insofern sind die Rückzieher der Gesetzgebung mehr als nachvollziehbar: Anderenfalls könnte eine Klagelawine losgetreten werden.
Aber anstatt hier auch in das Horn der betroffenen Bürger zu stoßen, erlauben wir uns einmal einen Perspektivenwechsel. Wir wollen jetzt nicht den Datenschutz betrachten, sondern eine mögliche Datenoffenlegungspflicht ansprechen: Stellen Sie sich vor, jemand schuldet Ihnen zwanzigtausend Euro. Sie kennen aber seine aktuelle Anschrift nicht. Also müssen Sie sich an das Einwohnermeldeamt wenden und nach dem Wohnsitzwechsel fragen. Um Auskunft von dort zu erhalten, genügt der Nachweis eines berechtigten Interesses, zum Beispiel einer Forderungsdurchsetzung. Jemandem Werbung schicken zu wollen, genügt als berechtigtes Interesse (noch) nicht, obwohl in dem ein oder anderen Bundesland bereits jetzt bei dem Meldevorgang nach einem Widerspruch über die Weitergabe der Daten gefragt wird. Warum? Nun, in den einzelnen Ländergesetzen zum Meldewesen ist bereits der Zugriff auf die persönlichen Daten der Bürger geregelt. Danach dürfen sowohl Inkassobetriebe als auch die Werbewirtschaft auf die staatlichen Datenbanken zugreifen. Darüber hat sich eigentümlicherweise noch niemand lauthals beschwert.
Landesgesetze legen verschiedene Arten der Auskunftssperren / Übermittlungssperren fest: So kann jeder ohne Angabe von Gründen der Weitergabe der Daten an Parteien, Wählergruppen und ähnlichen Organisationen widersprechen. Dasselbe gilt auch für die Übermittlung der Daten aus Anlass eines Alters- und Ehejubiläums an Mandatsträger, Presse oder Rundfunk. Ebenso kann die Weitergabe von Daten an Adressbuchverlage auf Antrag gesperrt werden oder etwa die Übermittlung der Daten an die Religionsgesellschaft des glaubensverschiedenen Ehegatten. Solche Sperren sind unbefristet gültig. Anders die totale oder absolute Auskunftssperre. Sie wird auf Antrag eingetragen, wenn der Bürger glaubhaft macht, dass ihm oder anderen Personen durch eine Auskunft Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliches droht. Eine solche totale Auskunftssperre versagt aber zum Beispiel gegenüber Behörden.
Trotz der Auskunftssperren können bestimmte Unternehmen aus der Werbewirtschaft oder dem Inkasso bereits heute regelmäßige Datenabgleiche mit den Meldebehörden vornehmen. Die Kommunen haben vielerorts hierzu bereits eigene Vertriebsgesellschaften gegründet, die mit „Power-Usern“ Verträge zum Datenaustausch abgeschlossen haben. Power-User sind etwa Adressverlage, Versandhäuser, Inkassofirmen und wir Rechtsanwälte. Vier Euro kostet einen Power-User etwa ein Datensatz bei über 200.000 Anfragen jährlich. Die Kommunen nehmen über eine Millionen Euro nur über die Datenauskunft mit Power-Usern ein. Hinzu kommen Einzelanfragen, die in der Regel mit 7,50 Euro abgerechnet werden. Die offizielle Rechtfertigung für den Datenausverkauf fußt auf zwei Argumenten: Einerseits würden an Power-User nur Daten zum Abgleich gereicht werden, die schon vorab bekannt waren. Wer nicht bereits Name, Adresse, alternativ Geschlecht oder Geburtsdatum nennen könne, erhalte keinen Datenabgleichsatz. Andererseits bestehe auch eine Fürsorgepflicht gegenüber Gläubigern, die neue Anschrift von Schuldnern bekanntzugeben. Anderenfalls könne es schnell zu existenzbedrohenden Forderungsausfällen kommen. Die Argumente überzeugen nicht wirklich und dürften einer verfassungsrechtlich strengen Prüfung kaum standhalten. Wer sich im Inkasso auskennt weiß, daß an persönliche Daten viel leichter und umfassender heranzukommen ist als über die Meldeämter. Damit ist – verfassungsrechtlich gesprochen – die Datenweitergabe weder geeignet noch erforderlich noch verhältnismäßig im engeren Sinne. Worin begründet sich etwa bitte das legitime Interesse von Adressbuchverlagen oder Versandhändlern, weiteren Power-Usern, die aktuelle Adresse eines möglichen Kunden zu erhalten? So sehr wir auch über eine mögliche Rechtfertigung und Abwägung für die landesrechtlich erlaubte Datenweitergabe nachdenken, so wenig erschließt sich uns ein vernünftiger Grund. Ausnahme: monetäre Motivation.  Der laut bescholtene Ausverkauf des Datenschutzes an die Privatwirtschaft hat also längst begonnen!
P. S.: Wußten Sie, daß Deutschland mit der Meldepflicht seiner Einwohner auf weiter Flur alleine dasteht. Kaum ein anderes Land in Europa kennt so eine Meldeverpflichtung.

2 Replies to “Melderegister, Datenschutz und Inkasso: Wie stark ist das informationelle Selbstbestimmungsrecht?”

  1. Mousa Noni says: 1. Juli 2021 at 19:23

    Das Meldegesetz erlaubt angeblich auch eine Weitergabe meiner Adresse an jeden Hinz und Kunz, der danach fragt. Für 10 € kann jeder sie haben. Ich bin deshalb gerade im Streit mit meiner Kommunalverwaltung, die sich hartnäckig weigert, mein Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu respektieren.
    Wissen Sie, ob es dagegen bereits eine Klage gibt? Ich würde mich gerne anschließen.

  2. Nick says: 30. Juli 2012 at 21:40

    Da merkt man, wer sich auskennt. echt beeindruckend. danke.

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